Multilateralismus auf dem Rückzug?

Chancen und Herausforderungen der liberalen Weltordnung

Heidelberg, 22. und 23. November 2019

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Migrationskrise, Brexit, Klimawandel – die Rede von den aktuellen Krisenerscheinungen des Multilateralismus ist allgegenwärtig. In den Medien, der Politik und Öffentlichkeit wird sie kontrovers diskutiert. Gibt es eine „Renaissance“ unilateralen Handelns in der internationalen Politik? Steht die multilaterale globale Ordnung vor ihrem Ende? Was bedeutet der Rückzug der USA aus ihrer Rolle als Verfechter internationaler Kooperation für die Zukunft der Global Governance? Und wie wirkt sich der Aufstieg autokratischer Mächte wie China und Russland auf das staatliche Ordnungssystem aus?

Die (politik-)wissenschaftliche Forschung hat zu diesem Themenkomplex in letzter Zeit zahlreiche Beiträge geliefert. Der diesjährige Heidelberger Dialog zur internationalen Sicherheit widmet sich daher am 22. und 23. November 2019 unter dem Titel „Multilateralismus auf dem Rückzug? Chancen und Herausforderungen der liberalen Weltordnung“ den drängenden Fragen über die zukünftige Ausgestaltung der internationalen Ordnung.

Dabei dreht er die bisherigen Forschungsprämissen bewusst um, denen zufolge Demokratien eine Präferenz für multilaterales Handeln haben und Autokratien eher eine unilaterale Außenpolitik verfolgen. Stattdessen wird danach gefragt, was der Rückzug demokratischer Staaten aus multilateralen Foren der Global Governance wie dem UN-Menschenrechtsrat oder dem Klimaabkommen von Paris und das Aufkommen eines neuen „autokratischen Multilateralismus“ für die internationale Ordnung bedeuten. Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Entwicklungen für internationale Organisationen und das System multilateraler Zusammenarbeit? Haben die westlichen Demokratien ihre Unterstützung für normengeleitetes und kooperatives Handeln in der internationalen Politik aufgegeben? Woher stammt ihr neuer Skeptizismus gegenüber Formen der multilateralen Zusammenarbeit? Lernen autokratische Herrscher in Institutionen voneinander? Festigen diese vielleicht sogar ihre Herrschaft oder droht gar eine „Machtübernahme“ autokratischer Staaten in internationalen Organisationen?

Diesen und weiteren Fragen nähert sich die Fachtagung aus interdisziplinärer Perspektive in zwei Workshops mit renommierten Referentinnen und Referenten. Begleitet wird die Konferenz durch ein abwechslungsreiches und attraktives Rahmenprogramm einschließlich Social Event. Die Veranstaltung richtet sich an Studierende im Bachelor- und Masterbereich, Promovierende und Young Professionals. Ziel ist es, miteinander in einen anregenden Austausch über die Thematik zu gelangen und gemeinsam Antworten auf die großen Fragen zur Zukunft des Multilateralismus im 21. Jahrhundert zu entwickeln.

Die Workshops werden sich von zwei Seiten dem Thema des diesjährigen HDiS annähren. Während Workshop 1 den Rückzug von demokratischen Staaten aus multilateralen Organisationen untersucht, wird Workshop 2 den Fokus auf die Rolle von Autokratien in internationalen Organisationen legen. Jede*r Teilnehmer*in hat die Möglichkeit an einem der beiden Workshops teilzunehmen. Die nachfolgenden Teile des Wochenendes, wie Kaffeepause oder die Zusammenführung der Ergebnisse, geben dann die Möglichkeit mit den anderen Teilnehmenden ins Gespräch zu kommen und sich über die beiden Workshops auszutauschen.

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Workshop 1: Crumbling from within? Der Rückzug demokratischer Staaten aus multilateralen Foren (Dr. Johannes Muntschick, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz)

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Seit einigen Jahren beobachten wir verstärkt den Rückzug demokratischer Staaten aus den multilateralen Strukturen der Global Governance. Dies erscheint zunächst auf doppelte Weise paradox: Zum einen widerspricht es der theoretischen Vermutung, dass Demokratien multilaterale Zusammenarbeit eher unterstützen sollten als Autokratien. Zum anderen wurde die internationale Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem von den liberalen Demokratien der „westlichen Welt“ geprägt. Lange Zeit gehörten sie zu den größten Profiteuren multilateraler Institutionen und Foren wie den Vereinten Nationen oder dem Welthandelsregime. Doch der demokratische Rückhalt für einen „globalen Multilateralismus“ im 21. Jahrhundert scheint zu schwinden: So haben die USA unter Präsident Trump eine Kehrtwende von ihrer traditionellen Rolle als Verfechter internationaler Kooperation hin zu einer Politik des „Neounilateralismus“ vollzogen. Der Austritt des Landes aus der UNESCO und dem UN-Menschenrechtsrat, der Ausstieg aus dem Klimaabkommen von Paris, ebenso wie die Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran oder die Androhung eines protektionistischen Handelskriegs mit der EU und China sind nur einige Beispiele in der langen Liste empirischer Befunde. Doch die Beobachtung bleibt keinesfalls auf die USA beschränkt: Im Vereinigten Königreich votierte eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler 2016 für den Austritt des Landes aus der Europäischen Union und spätestens seit der Migrationskrise von 2015/16 schwächen die semi-autokratischen Staats- und Regierungschefs der vier Visegrád-Staaten die Union auch von innen. Weitere Beispiele liefern die Ablehnung des globalen Migrationspakts durch eine große Zahl europäischer Staaten, die Weigerung Japans, sich dem internationalen Moratorium gegen Walfang anzuschließen oder der praktische Zerfall der UNASUR seit 2018. Populistische Bewegungen in Italien, Frankreich, den Niederlanden, Brasilien, den Philippinen und nicht zuletzt auch Deutschland kritisieren in zunehmenden Maße etablierte Instanzen der multilateral geprägten globalen Ordnung und predigen die Renaissance des Nationalstaats und die Vision intergouvernementaler Zusammenarbeit außerhalb des engen Korsetts multilateraler Institutionen und Regime. Gleichzeitig füllen vermehrt autokratische Systeme das angesichts des Rückzugs der ehemaligen demokratischen Führungsnationen entstehende Vakuum und versuchen, die Spielregeln der internationalen Zusammenarbeit nach ihren eigenen Vorstellungen neu zu gestalten.

Vor diesem Hintergrund möchte der Workshop einen Beitrag zur Diskussion über die Rolle multilateraler Institutionen und Kooperationsverfahren für die globale Ordnung und die Verantwortung der westlichen Demokratien für ihre Aufrechterhaltung und Stärkung leisten. Dazu nähert er sich dem Themenkomplex über folgende Leitfragen:

  1. Gibt es so etwas wie eine „Re-Unilateralisierung“ demokratischer Außenpolitik? Wie kann diese erklärt werden? Ist sie die Folge eines Wiederaufkommens realistischer Macht- und Interessenpolitik?
  2. Steht die westlich geprägte, internationale Ordnung der multilateralen Zusammenarbeit vor ihrem Zusammenbruch (oder ihrer Ablösung durch ein anderes Ordnungsmodell)? Falls ja, welche Rolle spielt dabei der Rückzug demokratischer Staaten aus multilateralen Strukturen?
  3. Welche Motive erklären die neue Skepsis demokratischer Staaten gegenüber multilateralen Foren, Institutionen und Regimen?
  4. Welche Auswirkungen haben die genannten Entwicklungen auf multilaterale Institutionen und Regime und deren Legitimität? Wer sind die „Gewinner“ und „Verlierer“ dieser Entwicklung?
  5. Welche Maßnahmen können ergriffen werden, um die Erosion der globalen multilateralen Ordnung zu verhindern und nachhaltig zu ihrer Stärkung beizutragen? Welche Akteure kommen dafür infrage? Wo liegt die Verantwortung einzelner Bürgerinnen und Bürger (und der Bundesrepublik Deutschland)?

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Workshop 2: Autokratien und Multilateralismus – Zwischen Machtübernahme und Parallelstruktur (Dr. Siegfried Schieder, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg)

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Während der Aufbau und der Einsatz in und für multilaterale Institutionen nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst das Spielfeld der westlichen und demokratischen Staaten war, so hat sich die Situation in den vergangenen Jahren gewandelt. Dabei lassen sich zwei Entwicklungen beobachten: Auf der einen Seite sind neue multilaterale Institutionen entstanden, die von und teilweise auch für autoritäre Staaten initiiert wurden wie etwa die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank (AIIB). Auf der anderen Seite lässt sich ein vermehrtes Streben autokratischer Staaten nach Einfluss sowohl in Bezug auf die Agenda als auch gemeinsame Positionen in etablierten multilateralen Institutionen beobachten. Dies wird zum Beispiel im UN-Menschenrechtsrat deutlich, dem von Kritikern/Kritikerinnen vorgeworfen wird, von Autokratien dominiert zu sein, und als “Allianz der Täter” (Herbermann 2007) den ursprünglichen Auftrag ad absurdum führt.

Dieser Workshop soll sich dem Phänomen daher aus unterschiedlichen Richtungen nähern und unter der Leitfrage stehen, welche Rolle autokratische Staaten in der aktuell so oft thematisierten „Krise“ des Multilateralismus spielen und inwiefern autokratische Bündnisse auf dem Vormarsch sind. Es soll die Entwicklung des Multilateralismus mit einem Fokus auf die Zeit nach dem Kalten Krieg nachgezeichnet werden, wobei einerseits die Strategien einzelner autokratischer Staaten sowie deren Kooperationsmuster als Fallbeispiele dienen können. Dabei sollen ausgewählte multilaterale Institutionen näher in den Blick genommen werden. Das Ziel ist es, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den bestehenden multilateralen Institutionen und neuen, autoritär geprägten Institutionen des Multilateralismus herauszuarbeiten und abschließend über mögliche Entwicklungen und Problemkonstellationen in den nächsten Jahren zu diskutieren.

Folgende Leitfragen können dabei genauer thematisiert werden:

  1. Welche Ziele verfolgen autokratische Staaten mit der Schaffung multilateraler Institutionen? Was unterscheidet bzw. zeichnet diese Institutionen aus?
  2. Wie unterscheidet sich das Verhalten demokratischer und autokratischer Staaten in multilateralen Foren? Wie gestaltet sich ihre Interaktion?
  3. Welche Chancen/Gefahren entstehen durch das Engagement autokratischer Staaten im Bereich des Multilateralismus?
  4. Wie reagieren demokratische Staaten und bereits bestehende Institutionen auf diese Entwicklungen?

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Abschlussvortrag: Der Multilateralismus ist tot! Es lebe der Multilateralismus!(Eric Povel, Head of Public Diplomacy Division, North Atlantic Treaty Organization)

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Der Abschlussvortrag des Heidelberger Dialogs zur internationalen Sicherheit 2019 soll die wesentlichen Aspekte des diesjährigen Leitthemas „Multilateralismus auf dem Rückzug? Chancen und Herausforderungen der liberalen Weltordnung“ in einem einheitlichen Rahmen zusammenführen und aufeinander beziehen. Er ist als Synthese der beiden Workshopthemen gedacht und soll eine inhaltliche Brücke zwischen ihnen schlagen (Parallelen, Differenzen, Anomalien, offene Punkte, etc.). Neben der Funktion einer Ergebnissicherung, die der Vortrag erfüllen soll, geht es vor allem um eine allgemeine Bestandsaufnahme mit Blick auf die Rolle und Bedeutung multilateraler Formen der Zusammenarbeit für die internationale Politik im 21. Jahrhundert und darum, einen Ausblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen und Trends zu geben.

Strukturell könnte sich der Vortrag an den drei Dimensionen „Problematiken“, „Handlungsfelder“ und „Lösungsansätze“ anlehnen. Der Vortrag darf dabei durchaus eine dezidiert normative (gleichzeitig aber analytisch fundierte) Haltung einnehmen und als optimistisches Schlusswort der Konferenz eine betont positive Sicht vermitteln. Er soll sich als überzeugendes Plädoyer für die Vorteile des Multilateralismus verstehen und argumentieren, warum multilaterale Kooperation auch weiterhin eine wichtige Rolle in der globalen Ordnung spielt/spielen sollte. Das mögliche Themenfeld ist dabei bewusst breit gelassen, sodass im Verlauf des Vortrags „weite Linien“ auch über Politikfelder hinweg gezeichnet werden können.  Mit Blick auf die Zukunftsperspektiven und Chancen des Multilateralismus angesichts (bzw. entgegen) seiner zahlreichen, aktuellen „Krisenerscheinungen“ soll der Abschlussvortrag Forderungen aufstellen oder Empfehlungen abgeben. Da das Format gleichzeitig als Impulsgeber für die informelle Diskussion im Anschluss an die Veranstaltung und auch in der Nachbereitung der Konferenz gedacht ist, sind auch kontroverse bzw. polarisierende Thesen willkommen.

Der auf etwa 90 Minuten angelegte Vortrag kann sich u.a. an folgenden Leitfragen orientieren, die als mögliche Bezugs- und Anregungspunkte dienen sollen:

  1. Welche Vorteile bietet der Multilateralismus (z.B. ökonomisch, ökologisch, militärisch)?
  2. Wieso ist Multilateralismus in Zeiten der Globalisierung und der zunehmenden politischen Polarisierung unabdingbar? In welchen Politikfeldern spielt multilaterale Zusammenarbeit eine zentrale Rolle?
  3. Vor welchen großen Herausforderungen steht das Modell der multilateralen Zusammenarbeit auf internationaler Ebene? Brauchen wir einen „neuen“ Multilateralismus? Wie könnte dieser aussehen?
  4. Wie könnte Multilateralismus in 15-20 Jahren aussehen? Welche Trends zeichnen sich ab? Welche Akteure werden an Bedeutung gewinnen/verlieren? Ist der Multilateralismus überhaupt noch ein zukunftsträchtiges Ordnungsmodell?
  5. Wie kann Multilateralismus (wieder) in der Gesellschaft überzeugen? Wie können multilaterale Prinzipien besser vermittelt werden? Welche Verantwortung tragen dabei Medien, Politik und die Zivilgesellschaft?

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Der aktuellen Ablaufplan findet sich hier: HDIS-2019_Ablaufplan

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